Interview

Interview

Gespräch mit Gérard Bekerman
Gründer des Internationalen Wettbewerbes hervorragender Amateur-Pianisten

– Welche tiefere Motivation hat Sie dazu geführt, den „Concours  International des Grands Amateurs de Piano“ (Internationalen Wettbewerb hervorragender Amateur-Pianisten) zu gründen?

– Das Bedürfnis zu teilen, jenen entgegenzugehen, die, wie ich, in Frankreich, in der Welt, ein Doppelleben führen: Den Beruf, den sie ausüben, aus Notwendigkeit, und die Liebe zur Musik, das Klavier im Besonderen. Aber dieses „Doppelleben”, es bleibt der Ausdruck ein und des selben Lebens, einmalig. Für uns, große Amateure, 1+1=1, Sie sehen, dass ein Ökonom gut rechnen kann! Offen gesagt nimmt die Musik nicht einen Platz in unserem Leben ein, sie ist unser Leben. Wir leben durch unseren Beruf, für die Musik. Und diese zweifache Erfahrung ist auf der menschlichen Ebene bereichernd. Sie lehrt uns, dass man Weisheit und Vernunft vereinen muss, um einen Beruf zu haben, und Leidenschaft, die uns nicht notwendigerweise ernährt, aber für die wir leben. Sie wissen, ich habe keine Visitenkarte, aber wenn ich eine verwenden müsste, hätte sie eine Vorderseite „Ökonom” für den Tag und eine Rückseite „Pianist” für die Nacht.

– Wie wählen Sie die Kandidaten aus, die aus allen Ecken des Planeten kommen und keiner aus einem Musikberuf?

Die Auswahl ist „natürlich”. Wir erhalten jedes Jahr 100 Kandidaturen aus der ganzen Welt ohne besonders zu wissen, von wem sie stammen. Die Niveaus sind heterogen und verschiedenartig. Sie werden zunehmend homogen mit dem Halbfinale und dem Finale, dort, wo wir die meiste Zeit mit Kandidaten gehobenen Niveaus zu tun haben. Ich muss Ihnen auch sagen, dass ich versucht habe, bei dem Concours des Grands Amateurs eine besondere Philosophie einzuführen: In jedem Kandidaten, so unvollkommen er auch sein mag, gibt es oft etwas Interessantes zu entdecken, selbst wenn die Finger nicht immer folgen. In einem gewissen Sinn ziehe ich die Poesie der Grammatik vor…selbst wenn die Vereinigung der beiden mich mehr befriedigt.

– Sie sprechen von „Antiwettbewerb”. Denken Sie nicht, dass es bei jedem Mitbewerber die wahnsinnige Lust gibt, der Erste zu werden?

– In der Kunst ist der Begriff des Ersten relativ. In der Geschichte der Klavier-Wettbewerbe seit einem Jahrhundert haben wundervolle Pianisten sei es niemals an einem Wettbewerb teilgenommen, wie Kissin, sei es, sie waren zweiter, wie Lipatti (Cortot musste sogar die Jury verlassen!). Ich denke, es ist legitim, dass ein Kandidat zu gewinnen wünscht, aber ich kann Ihnen versichern, dass man bei dem Concours des Grands Amateurs, wie ich es übrigens in meinem professionellen oder persönlichen Leben verspüre, gewinnen kann, ohne dass dies bedeutet, diesen oder jenen Gegner, Konkurrenten, Rivalen zu besiegen. In einem gewissen Sinn ist der einzige Gegner, der ein Kandidat bei dem Concours des Grands Amateurs haben kann ohne Zweifel… er selbst! Er muss seine Fähigkeiten unter Kontrolle haben, eine Situation meistern, die Logistik der Klaviatur beherrschen, damit die Pforte des Ausdrucks, der „Seele” sich von selbst öffnet.

– Haben die professionellen Pianisten, die Mitglieder der Jury sind, nicht manchmal das (nicht eingestandene) Gefühl, sich in Rivalität mit den Amateuren, von denen bestimmte mitunter besser spielen als sie, zu befinden.  

– Noch einmal, ich teile diesen Begriff von „Rivalität” in der Kunst nicht. Chopin ist kein 100-Meter-Olympiateilnehmer. Ich bin übrigens für die Beantwortung dieser Frage schlecht gestellt. Das besagt, dass ich glücklich darüber wäre, ihre Antwort zu kennen. Und wenn man ihnen diese Frage stellen würde! Persönlich bin ich glücklich, wenn ich einen Pianisten besser spielen höre als ich. Unnötig, Ihnen zu sagen, dass ich oft glücklich bin.

Welche waren für Sie, Präsident, einige der heftigsten Momente, der seltsamsten oder der anekdotenhaftesten, bei denen Sie während der Prüfungen zugegen waren?

Ich habe Ihnen eine kleine Geschichte zu erzählen. Über Jahre wirkte Nella Rubinstein, die Frau von Arthur Rubinstein, treu bei der Jury des Wettbewerbs mit. Sie bewunderte diesen! Manchmal, während der Ausscheidungen (denn sie wollte an allen Prüfungen teilnehmen), wenn die Müdigkeit sich bemerkbar machte, trafen sich unsere Blicke im selben Moment von selbst und Nella begann, mich mit atemberaubenden Kochrezepten der östlichen Länder zu zerstreuen, über die sie zu diesem Thema ein Buch geschrieben hat. Mein Großvater und mein Vater kamen einige Kilometer von dem Dorf, in dem Arthur Rubinstein selbst geboren wurde, zur Welt, in Lodz in Polen. Die Bildung Nellas, ihre Eleganz, weit über der meinen, ihr Respekt für die Kandidaten verboten ihr, bis zum Ende ihrer Rezepte zu gehen und, ohne Wortspiel, ich verblieb bei meinem Hunger und daher war ich es, der begann, sich allerlei Delikatessen vorzustellen, als meine Aufgabe mir auferlegte, mich auf das Spiel der Kandidaten zu konzentrieren. Seitdem, wenn ich auf der Straße gehe, in Berlin, in Los Angeles, in Paris und ich sehe ein Delikatessen-Geschäft, denke ich an Nella, an die Duport-Variationen eines Mozarts, an den einen „Vergessenen Walzer“ eines Liszt… bei denen ich mir nicht sicher bin, ihren letzten Takt gehört zu haben… Aber ich werde wieder ernsthaft und ich antworte auf Ihre Frage.

Wenn ich Ihnen zwei heftige Momente beschriebe, würde der eine den anderen neutralisieren. Ich werde daher davon nur einen festhalten, und das ist übrigens meiner Meinung nach der beste. Darf ich es eingestehen? Den heftigsten Moment, ich habe ihn, in 17 Wettbewerbs-Jahren, nicht eher als letzten Sonntag erfahren. Es ging um das Finale. Der Saal Gaveau war überfüllt. Der Preisträger, Thomas Yu, kanadischer Zahnarzt, Forscher in der Krebsforschung in einem Krankenhaus von Toronto, nahm die Sonate von Dutilleux in Angriff. Weder die Gegenwart von France 2 und des kanadischen Fernsehens, die filmten, noch die des Klassik-Radios, das aufnahm, noch die der 1.100 in Gaveau anwesenden Zuhörer waren vernehmbar. Man fühlte ihn allein mit sich selbst. Er war in guter Gesellschaft. Mit den ersten Takten beobachtete ich einige Reaktionen der Jury. Wie ich, glaube ich, war diese Jury dabei, in Thomas Yu einen Ausnahme-Kandidaten zu entdecken: Ein klarer, lebendiger, intelligenter Geist, eine sehr schöne Musikalität, ein großartiges Verständnis des Werks, eine perfekte technische Meisterschaft. Im Moment der Beratungen (versprechen Sie mir, das nicht zu wiederholen!) kam mir der Gedanke der Jury zu sagen: „Meine Damen, meine Herren, wenn wir sofort zur Wahl der Nr. 2 übergehen würden!” Es gab in dieser Jury hervorragende Meister, Marc Laforet, Eric Heidsieck, Germaine Devèze oder den Preisträger des Wettbewerbs Long Thibaud, Siheng Song, die sich bereit sahen, meinen inakzeptablen Vorschlag seitens eines Präsidenten der Jury zu akzeptieren! Thomas Yu errang die Einhelligkeit der Preise der Jury, der Presse und des Publikums. Wir haben ihn eingeladen, am 31. Mai 2006 in der Kathedrale Saint Louis des Invalides (ich hoffe, dass Napoleon, der dort seit fast zwei Jahrhunderten ruht, bei dieser Gelegenheit nicht erwacht…) das 1. Konzert von Chopin zu spielen. Das besagt, ich kenne eine große Schwäche bei Thomas Yu, das ist, dass er es vorzieht, Zahnarzt zu bleiben.

Der Wettbewerb hat mir die allergrösste Freude bereitet, denn ich hatte das Glück eines anderen äusserst subtilen und liebenswerten Klavierspieler zu entdecken. Es handelt sich um den Bayer Dominik Winterling, der als zweiter aus dem Concours mit einer Sensation auftrat, als er insbesondere ein durchaus originelles Werk spielte: die Variationen opus 41 des N.Kapustin.

– In zwei Jahren wird der Wettbewerb 20 Jahre alt. Haben Sie sich ein unveröffentlichtes, originelles oder außergewöhnliches Vorhaben einfallen lassen, um sie zu feiern?

Ja, ich habe eine Idee. Ich verspreche Ihnen, sie Ihnen mitzuteilen, wenn Sie mir das Vergnügen bereiten, mich zum gekommenen Moment erneut zu interviewen.

Wo haben Sie so gut Deutsch gelernt ?

– Das ist „Hegels Werk“!

Fragen an Gérard BEKERMAN

Journalistin : Elisabeth Richter